Das Portrait der modernen Familie

(Kurzgeschichte)

 

Der Sonnenaufgang taucht das schicke Vorstadthaus in ein malerisches Licht, als Sophia ihren Kindern das Frühstück serviert. Ihre Bewegungen sind präzise und jeder Handgriff ist perfekt automatisiert. Sie ist die perfekte Mutter, so denkt sie jedenfalls. Kim und Noah, ihre beiden Kinder, sitzen am Tisch und warten darauf, bedient zu werden.

"Ich habe euer Lieblingsfrühstück gemacht", sagt Sophia mit einem stolzen Lächeln. "Schokoladen-Crêpes, ganz wie ihr es mögt."

"Warum hast du das Frühstück nicht früher gebracht, Mama? Jetzt haben wir keine Zeit mehr", murrt Kim, ohne den Blick von ihrem Handy zu heben. Noah nickt zustimmend, während er mit seinem Löffel im Müsli rührt.

"Ach Kinder, das ist doch nicht meine Schuld, dass ihr so spät aufgestanden seid", antwortet Sophia, die innere Unruhe hinter einer Fassade aus Besorgnis verbergend. "Aber macht euch keine Sorgen, ich rede mit eurem Lehrer. Der wird es verstehen, dass ihr später kommt."

Während die Kinder in die Schule geschickt werden, bleibt Sophia zurück. Sie ist nicht nur eine Mutter, sondern auch eine Frau mit Sehnsüchten und unerfüllten Träumen. Ihr Mann, Bernd, ist selten zu Hause. Er arbeitet den ganzen Tag in einer großen Anwaltskanzlei, bringt dadurch viel Geld nach Hause und erwartet von seiner Frau, dass daheim alles reibungslos läuft.

Sophia wirft einen letzten Blick auf die Uhr, bevor sie ihre Tasche schnappt und zur Tür hinausgeht. Ihr Termin mit dem Personal-Trainer ist in einer halben Stunde und sie kann es kaum erwarten. Es ist eine Affäre, die sie nicht nur körperlich, sondern auch emotional befriedigt. Die Affäre tut ihr gut und sie ist der Meinung, dass sie sich diese kleinen Auszeiten mit ihm verdient hat.

Bernd hingegen freut sich nach langen Tagen im Büro auf die Wochenenden, wenn er mit seinen Freunden im Vorgarten grillen und Bier trinken kann. Die Gespräche drehen sich selten um die Familie. Es geht hauptsächlich um Fußball, alte Geschichten und die Arbeit.

Die Kinder wachsen in einem Haushalt auf, der nach außen hin perfekt scheint. So ist es von den Eltern gewollt. Sophia hat ihnen nie beigebracht, Mitgefühl sowie Wertschätzung gegenüber anderen oder Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen.

Noah verbringt Stunden vor Videospielen, während Kim durch soziale Medien scrollt, immer auf der Suche nach Bestätigung von außen. Jede schlechte Note, jeder verpasste Termin wird von Sophia entschuldigt, die immer einen Weg findet, die Schuld auf andere abzuwälzen.

"Der Lehrer mag dich einfach nicht, Kim", hört man Sophia oft sagen. "Er ist einfach unfähig. Ich werde mich an die Schulbehörde wenden. Dann wird er bestimmt entlassen und alles wird dann gut."

Eines Abends sitzt die Familie zum Abendessen zusammen. Es ist eines der wenigen Male, dass alle anwesend sind. Sophia redet, ohne wirklich etwas zu sagen, Bernd nickt gelegentlich und die Kinder haben ihr Smartphone in den Händen.

"Ich habe heute einen neuen Personal-Trainer kennengelernt", sagt Sophia plötzlich. Bernd hebt kaum den Blick. "Das ist schön", murmelt er und nimmt einen weiteren Schluck Bier.

Kim und Noah bemerken nicht die Spannung in der Luft, so sehr sind sie damit beschäftigt, persönliche Bestätigung durch die sozialen Medien zu bekommen.

Später am Abend, als die Kinder im Bett sind, kommt es zwischen Sophia und Bernd zum Streitgespräch.

"Bernd, wir müssen reden", sagt Sophia, während sie sich schminkt und sexy anzieht.

"Jetzt? Ich wollte gerade das Spiel schauen", antwortet Bernd und schaut kaum von seinem Bildschirm zu ihr.

"Es geht immer nur um dich und deinen blöden Fußball! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel ich hier leiste? Ich mache alles für die Kinder und was machst du? Du arbeitest den ganzen Tag und kommst nach Hause, nur um dich vor dem Fernseher zu setzen!"

"Und du? Du gehst fremd und behauptest, es sei dein Recht, weil ich dir die besten Jahre geraubt hätte. Wenn du so unglücklich bist, dann könntest du mich auch verlassen. Aber das tust du nicht, weil ich viel Geld verdiene und du sorge hast, dass nach einer Trennung dein Lotterleben vorbei ist. Glaubst du, ich merke das nicht?"

Sophia schnaubt verächtlich. "Ach bitte, Bernd. Du hast doch selbst kein Interesse an mir. Alles, was dich interessiert, ist dein Job und dein verdammtes Bier mit den Kumpels."

Bernd blickt zu ihr. "Weißt du was? Vielleicht habe ich deswegen kein Interesse, weil du ständig nur am Nörgeln bist und schon jeder Mann in unserer Nachbarschaft sich mit dir vergnügt sowie angefasst hat. Das ist ekelhaft. Und außerdem hast du kein Interesse an mir! Du hast keine Ahnung, wie stressig mein Job ist."

"Dein Job! Immer nur dein Job! Und wer kümmert sich um die Kinder? Wer sorgt dafür, dass sie alles haben, was sie brauchen? Ich! Du kümmerst dich auch nicht um mich. Das machen nur andere Männer. Ich bin hier immer alleine."

Bernd schüttelt den Kopf. "Du kümmerst dich also um die Kinder? Ernsthaft? Schau sie dir an. Sie sind total unselbständig, weil du sie ständig bemutterst und alle Probleme für sie löst. Das ist nicht normal. Wegen dir werden sie später hart in die Arbeitswelt aufschlagen, weil sie es nicht gewohnt sind, Eigenverantwortlich zu handeln."

Sophia funkelt ihn an. "Und du bist der große Held, oder was? Du bist nie da, um ihnen zu helfen. Du verziehst dich immer nur. Glaubst du wirklich, dass das besser ist?"

Beide sehen sich wütend in die Augen. Die Atmosphäre ist zum Zerreißen gespannt. Doch dann brechen sie die Vorwürfe und Diskussion gleichzeitig ab. Die Worte verlieren sich in der Stille des Raumes.

Ohne ein weiteres Wort drehen sie sich weg. Bernd trinkt sein Bier und starrt auf das Fußballspiel. Sophia ist mittlerweile fertig geschminkt und angezogen. Bevor sie das Haus verlässt, sagt sie zu ihrem Mann: "Denk daran, morgen ist Elternsprechtag. Da gehen wir als geschlossene Familie hin." Er nickt.

*

Der Alltag geht weiter, so als wäre nichts geschehen. Das Portrait der modernen Familie ist vollendet. Eine Fassade der Perfektion, die von innen heraus zerfällt. Ein Bild von Verantwortungslosigkeit und Selbsttäuschung, gehalten von den goldenen Fäden eines Wohlstands und der Verlogenheit darüber, dass das eigene Leben nicht so glücklich ist, wie es nach außen präsentiert wird.

 

 

ENDE